Ludwig Meidner war nicht nur als Maler und Zeichner begabt; seine andere große Liebe war das Schreiben. Seiner Feder entstammen Briefe und literarische Texte von großer Ausdruckskraft und Tiefe. Anfang der 1960er Jahre bedachte er seine „Donnerwetterpalette“, so der Spitzname des Utensils, mit einem Gedicht. Darin wird das Werkzeug zum Stellvertreter der Kunst, und wir erfahren aus erster Hand, wie Meidner das Malen empfand:
Kleines Geschimpfe auf meine Palette
Du viereckige, törichte,
verräuchert und verbeult…
Jedesmal, wenn ich dich erblicke,
wundere ich mich,
dass ich nicht den Verstand verliere,
wenn ich um dich herum tanze
und mir allerhand Ausflüchte abquäle,
anstatt beherzt dich an der Gurgel zu packen,
die du garnicht hast und ans Werk
zu schreiten, listig und verbissen.Daß ich dich liebe,
wie wollte ich das leugnen,
daß ich dich aber auch hasse
– wie ist’s möglich! –
Grimmig dich ablehne in meinem Innern
Das stimmt auch
Wie sollte man dieser Quälerei
anders begegnen als mit solchem
Affekt. Mit Ketten war ich immer
angekettet mit eisernen Schlössern hab ich
mich selber angekettet, festgemacht
mit Ketten und guten Hoffnungen.
Manuskript von Ludwig Meidner: Kleines Geschimpfe auf meine Palette, unvollständig, 1960 – 1963. Institut Mathildenhöhe, Städtische Kunstsammlung Darmstadt, aufbewahrt im Stadtarchiv Darmstadt, ST 45 Meidner Nr. 1544 / 1656, Transkription Nr. 1660 Nr. 22